Herbstflüstern.
Endlich ist es September. Noch hält der Sommer die Welt fest umklammert, doch ich stehe am Fenster und erahne, wie bald der Herbst die Regie übernehmen wird. Ich sehe vor meinem inneren Auge, wie die Blätter ihre Farben wechseln werden, wie sie sanft zu Boden gleiten und die Wege mit einem Teppich aus Gold und Kupfer bedecken werden. Die Zeit wird anbrechen, in der die Natur ihr letztes großes Schauspiel inszeniert, bevor sie in den tiefen Schlaf des Winters sinkt. Ich spüre bereits den Drang, hinauszugehen und Teil dieses Dramas zu werden. Ja, ich liebe den Herbst, nicht weil er sanft ist – das ist er keineswegs. Er fordert heraus. Bald wird der Wind seine Klingen schärfen, die Luft wird kühler werden, und die Pfade, die im Sommer vor Leben strotzten, werden immer häufiger in stiller Leere verharren. Ein perfekter Zufluchtsort für jemanden wie mich, der die Einsamkeit der Natur sucht, um sich selbst immer wieder neu zu entdecken.
In meinem Rucksack werde ich alles Nötige tragen: eine Flasche Wasser, einige robuste, selbstgemachte Brote und meine alte, verlässliche Kamera. Die Kamera und mein Hund Talko werden meine ständigen Begleiter sein. Während der Hund die Umgebung mit seiner Nase erkundet, wird die Kamera die stillen Wunder einfangen, die der Herbst zu bieten hat: das Spiel des Lichts zwischen den Ästen, die Tiere, die sich auf den Winter vorbereiten, die letzten mutigen Blumen, die der Kälte trotzen. Der Wald im Herbst wird wie ein alter Freund sein, der stets für eine Überraschung gut ist. Die Bäume werden majestätisch in den Himmel ragen, ihre entblößten Äste werden nach der grauen Unendlichkeit greifen. Unter meinen Füßen wird das Laub knirschen, und jeder meiner Schritte wird mich daran erinnern, dass ich lebe, hier, mitten in dieser sich verändernden Natur.
Manchmal werde ich anhalten, mich an einen Baum lehnen und die Augen schließen. Ich werde den Wind hören, das Flüstern der Blätter, das ferne Krächzen eines Raben. Diese Momente werden mir die Klarheit schenken, die mir im Alltag so oft fehlt. Dieser Herbst wird mich daran erinnern, dass das Leben Veränderung bedeutet, dass wir loslassen müssen, um weiterzukommen. Und wenn ich nach Stunden des Umherstreifens nach Hause zurückkehre, werde ich mich erneuert fühlen. Meine Wangen, gerötet vom kalten Wind, meine Beine, erschöpft, doch mein Geist, hellwach. Ich werde den Herbst erlebt haben, ihm ins Gesicht geschaut und gewusst haben, dass meine Zeit gekommen ist.
Ich schätze den Herbst auch wegen seiner wiederkehrenden Dunkelheit, die in einem wundersamen Zusammenspiel mit der Kälte die Gemütlichkeit in das Wohnzimmer zurückbringt. Bald werden Kerzen auf der Fensterbank flackern, ihr sanftes Licht wird tanzende Schatten an die Wände werfen. Eine warme Decke wird wie eine Einladung auf dem Sofa liegen, und ein gutes Buch wird darauf warten, mir Geschichten aus längst vergessenen Zeiten zu erzählen. Theodor Storm wird, wie in jedem Jahr, in einer verregneten Nacht vom Schimmelreiter Hauke Haien berichten. Er wird die düstere, gespenstische Atmosphäre heraufbeschwören, von den rauen Wetterbedingungen erzählen und von der stürmischen Nordsee, während sich um mich herum der Geruch von Zimt, Vanille, Äpfeln und Karamell im Raum ausbreitet und eine fast greifbare Aura der Behaglichkeit schafft.
Und wenn ich nicht lese, werde ich Filme schauen, die die Dunkelheit draußen aufgreifen, während vor den Fenstern der Regen und der Sturm ihren eigenen wilden Tanz aufführen. Das Prasseln des Regens gegen die Scheiben wird die perfekte Begleitung für melancholische Filmabende bieten, bei denen die Geschichten auf dem Bildschirm und die Unwetter draußen in einen seltsamen Einklang treten.
…und im Radio läuft ein Oasis Song
Und in der Stille eines goldenen Oktobertages, wenn das Licht sanft durch die Kronen der Bäume gleitet und die Welt in ein unwirklich warmes Leuchten hüllt, beginnt der Weg am Waldrand leise, fast unhörbar, ein längst vergessenes Gedicht zu flüstern. Die Bäume, stolz und alt, kleiden sich in ein prächtiges Gewand aus Orange, Rot und Gelb. Es wird ein sanftes Flammenmeer sein, das unter dem grauen Himmel umso leuchtender erscheint. Jeder Schritt auf dem weichen, von Laub bedeckten Weg wird für mich zu einem Eintauchen in eine ruhigere Zeit sein. Momente der Entschleunigung in einer Welt, die sich zu oft hastig um sich selbst dreht. Der Herbst spricht in leisen, fast flüsternden Tönen von der Vergänglichkeit und der Schönheit des Loslassens. Er erzählt mir, dass in jedem Ende auch ein verborgener Anfang liegt.
Und wenn ich dann am Abend, nachdem die Nacht den Tag längst sanft erlöst hat, erschöpft auf meinem Sofa sitze, werde ich mir selbst kleine Geschichten vom Ankommen erzählen. In diesen Geschichten werde ich leise lächeln und von einem stillen Frieden träumen, der sich wie ein zarter Schleier über meine Gedanken legt. Mit beiden Händen werde ich die Kaffeetasse umschließen, den letzten Schluck des längst kalt gewordenen Kaffees trinken und die Augen schließen. Im Radio läuft ein Oasis Song.
„Don’t Look Back in Anger“.