Novemberregen.

In dieser kleinen Ortschaft entfesselt ein starker Wind seine Urgewalt. Er peitscht durch die Straßen, ein ungestümer Dirigent, der das letzte, feuchtkalte Leben aus den Blättern treibt. Sie wirbeln empor, getragen von unsichtbaren Händen, suchen Zuflucht in den stillen Winkeln der Gassen, Orten, die sonst unbeachtet bleiben. Über dem Dorf spannt sich der Himmel, ein bleiernes Grau, das den Novemberregen birgt. Es ist ein Vorhang, schwer und undurchdringlich, der nur selten ein flüchtiges Streiflicht durch seine Fasern schlüpfen lässt. Ein kurzer, trügerischer Hoffnungsschimmer in einem Meer aus Düsternis.

Ich sitze an meinem Schreibtisch, ein stiller Zeuge dieses Tanzes der Natur. Mein Blick fällt durch das Fenster, wo ich die Eichen beobachte, deren Äste sich winden und biegen, als wären sie Teil einer stummen, wilden Choreographie. Im Kontrast zu diesem Wirbel der Elemente, der Hund. Er liegt, eingekringelt vor dem Kamin, versunken in die Tiefen des Schlafes, unberührt und fernab von dem Sturm, der draußen seine Lieder singt. Ein Bild des Friedens inmitten des Chaos.

Plötzlich unterbricht das Klingeln des Telefons die Stille. Eine Stimme aus der Vergangenheit, ein Echo längst vergessener Zeiten. Es ist kein Anruf der Nostalgie, keine Frage nach meinem Befinden oder dem Seelenheil. Nur eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Ein kurzes Gespräch, ein Austausch zwischen Menschen, die vielleicht einst Freunde waren, nun aber durch unzählige ungesagte Worte getrennt. Das Gespräch endet, und ich bleibe zurück mit der Gewissheit, dass die Zeiten sich ändern, während die Zeit rast. Stille Transformationen, die oft unbemerkt bleiben, verborgen in den Schatten des Alltags.

In diesem Moment finde ich mich unfähig, in die gewohnte Routine zurückzukehren, die vor dem Anruf herrschte. Die Worte, an denen ich arbeitete, scheinen ihre Bedeutung verloren zu haben, der Faden der Geschichte, den ich spann, zerrissen. Langsam nehme ich das gedruckte, doch unfertige Manuskript in meine Hände, lasse mich auf das Sofa sinken. Das Feuer im Kamin knistert leise, spendet eine Wärme, die anders ist als die, welche die alten Heizkörper ausstrahlen. Es ist eine Wärme, die von Geborgenheit und Behaglichkeit spricht, eine Wärme, die ich jetzt brauche, um wieder meinen Weg zu finden. „Eine Tasse Kaffee“, denke ich, „das wäre jetzt das Richtige. Oder vielleicht ein Stück Schokolade.“ Doch da mir letzteres fehlt, entscheide ich mich für den Kaffee. Die Maschine surrt auf, ein vertrautes Geräusch, das in diesem Raum voller Erinnerungen und Gedanken einen eigenen Platz hat. Es ist ein kleiner Akt der Selbstfürsorge, ein Versuch, den Faden der Geschichte wieder aufzunehmen, die Worte wieder fließen zu lassen, die durch den Anruf verstummt waren.

In der Küche, wartend auf den Kaffee, stehe ich am Fenster, betrachte den Novemberregen, der gleichgültig gegenüber meinen Gedanken fällt. Er prasselt auf den Rasen, formt Pfützen, taucht die Welt in eine unwirtliche Atmosphäre. Wenn der Wind die Regentropfen heftig gegen die Fensterscheiben treibt, werden Erinnerungen wach: Küchentischmomente in der Dachgeschosswohnung, gefüllt mit tiefgründigen Gesprächen, durchzogen vom Rauch der Zigaretten, der durch den geöffneten Fensterspalt entweicht. Ich denke zurück an das flackernde Kerzenlicht, an Wandbilder, die Geschichten erzählten, an Gartenstühle, die einst unkonventionell umfunktioniert wurden. Ein leises Lächeln umspielt meine Lippen, während ich diese fernen Erinnerungen sachte in ihre metaphorischen Kästen zurücklege, ein Zeichen der Dankbarkeit für das Gewesene, ohne den Schmerz zu spüren, dass es nun vorbei ist. Es ist eine sanfte Akzeptanz der Vergänglichkeit, ein stilles Einverständnis mit der unaufhaltsamen Flüchtigkeit des Lebens.

Als sich der Wind legt, hält auch der Novemberregen inne, als würde die Natur selbst eine Atempause nehmen. Im Westen reißt die Wolkendecke auf, ein Stück strahlendes Blau offenbart sich, ein seltenes Geschenk in diesen trüben Tagen. Ich führe die Tasse an meine Lippen, puste den aufsteigenden Dampf zur Seite und trinke einen kräftigen Schluck. Das warme Getränk gleitet meine Kehle hinab, bringt eine wohltuende Wärme von innen, als könnte es für einen Moment die Härten der Welt abmildern. Lehnend am Fensterrand, den Blick nach draußen gerichtet, sehe ich und doch sehe ich nichts. Meine Gedanken verlieren sich in Erinnerungen, lassen Bilder längst vergessener Geschichten aufleben. Namen von Menschen, die mich längst vergessen haben, hallen in meinem Geist wider. „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei“, sagen sie. Doch was ist, wenn du stirbst, ohne je wirklich gelebt zu haben?

Die Wahrheit liegt in der Ungewissheit – ich weiß nicht, was die nächste Woche bringen wird. Was im nächsten Monat geschehen mag, entzieht sich meiner Vorstellung. Und ehrlich gesagt, bleibt selbst der Verlauf dieses Abends ein Rätsel. Draußen fällt der Novemberregen, sanft, fast zärtlich. „Wenn es kommt, lass es kommen. Wenn es geht, lass es los.“ Dieses Mantra, so einfach und doch so tiefgründig, spiegelt das Wesen des Lebens wider. Wir wandern auf einem Pfad, dessen Ziel und Dauer uns unbekannt sind, und vielleicht sollten wir gerade diesen Pfad als das eigentliche Ziel begreifen.

Das Leben ist kein Spiel, das man gewinnen kann. Es ist eine Reise, ein fortwährendes Voranschreiten, bei dem es nicht um das Ankommen geht, sondern um die Art und Weise, wie wir diesen Weg beschreiten. Am Ende zählt nicht der Triumph oder der Besitz, sondern die Spuren, die wir hinterlassen, die Art, wie wir gelebt, geliebt und gelitten haben. Es geht um die Echtheit unserer Erfahrungen, um die Aufrichtigkeit unserer Begegnungen. Das ist es, was letztendlich bleibt, was zählt, wenn der Regen aufhört zu fallen und die endlose Stille einkehrt.