Der letzte Vorhang.

Aufgeben statt weiterspielen.

„Je mehr man über sich selbst und das, was man will, weiß, desto weniger lässt man an sich ran“, sagt Bill Murray in Lost in Translation. Ich schaue mich um. Das Licht im Raum ist gedämpft, die Luft still, als hielte sie etwas zurück. Zeit tropft von den Rändern, unbemerkt, fast so, als hätte sie beschlossen, in andere Richtungen zu verschwinden. Schritte verhallen. Türen schließen sich. Tage kommen und gehen, werfen Schatten über den Boden, die sich nicht festhalten lassen. Vielleicht bleibt am Ende nur das übrig, was unausgesprochen bleibt. Ein Rest von Nähe. Eine Erinnerung. Ein Fetzen von dem, was einmal groß erschien. Und vielleicht sind es die Rollen, die wir dabei verlieren oder jene, die wir nie hätten annehmen sollen. Masken, die irgendwann zu schwer werden. Sätze, die nicht die eigenen waren. Manchmal genügt ein Atemzug, um zu spüren, dass etwas zu Ende geht: ein Raum, ein Blick, ein stilles Nicken. Die Welt dreht sich weiter, während irgendwo ein Vorhang zum letzten Mal fällt…

Den Film habe ich nie gesehen. Zugegeben. Aber ich habe das Zitat irgendwo aufgeschnappt und länger darüber nachgedacht. Es klang im ersten Augenblick kalt, fast schon abweisend. Doch vielleicht meint Murray gar nicht Kälte, sondern Klarheit. Vielleicht bedeutet es, dass je genauer ich weiß, was ich will, desto weniger lasse ich die Dinge an mich ran, die mich von mir wegtragen. Erwartungen, Menschen, Geschichten, in denen ich nur eine Nebenrolle war.

Früher habe ich das verwechselt. Ich hielt Grenzen für Härte. Heute denke ich viel mehr, es sind Türen, die ich leise schließe, damit es in mir endlich still genug wird, meine eigene Stimme zu hören. Und wenn ich weiter darüber nachdenke, stelle ich fest: Ja, ich bin geflohen. Ich habe Dinge verbrannt, Ideen, Anläufe, ganze Räume. Wie ein Beweis, dass etwas passiert. Rauch statt Arbeit.

Das war immer ein schöner Trick, um nicht dorthin gehen zu müssen, wo es wehtut. Dahin, wo Entscheidungen fällig sind. Dahin, wo Gespräche warten, die ich vermeiden wollte. Dahin, wo die Aufgaben liegen, die niemand für mich erledigt. Stattdessen habe ich Rollen gewählt. Kostüme, die nach außen funktionieren und innen hohl sind. Man trägt sie, weil man gesehen werden will, weil man glaubt, sonst zu verschwinden. Doch langsam merke ich mehr und mehr, wie schwer sie geworden sind. Wie sie mir den Atem nehmen.

Jetzt, so langsam, je mehr ich über mich weiß, desto deutlicher spüre ich, was nicht mehr an mich darf. Es sind die geliehenen Sätze, die gelernten Gesten, die Lügen in freundlichen Farben. Und wenn das wegfällt, bleibt die Arbeit übrig: all die Masken fallen zu lassen. Ohne Drama. Ohne Pose. Man darf aufhören zu spielen, auch wenn noch Licht auf der Bühne liegt. Man darf aufstehen. Runter von den Brettern, die eben nicht die Welt bedeuten. Runtergehen in den Flur, wo das normale Licht brennt. Dorthin, wo keine Musik, kein Text, kein Publikum zu finden ist. Nur Schritte. Nur Atem. Und dann kommt dieses kleine, unspektakuläre Nicken vor dem eigenen Spiegel. Ja. Aufgeben statt weiterspielen. Das ist in Ordnung. Das ist kein Scheitern. Keine Niederlage. Sondern ein Beginn.

Vielleicht war auch die Seite nachmittage.de auch nur wieder eine dieser Rollen. Ein weiteres Projekt, das ich verbrannt habe. Ich habe gemerkt, dass ich mich da wieder in etwas hineinzwang, das nicht wirklich zu mir gehörte. Eine Fassade, die schön aussah, aber schwer zu tragen war. Wieder ein Kostüm. Wieder ein Spiel, das nicht meins war. Ich wollte etwas sein, etwas darstellen, das ich am Ende nicht ausfüllen konnte.

Aber das muss ich nicht. Es reicht, einfach zu tun, was mir Spaß macht. Schreiben, wenn ein Gedanke länger bleibt. Fotografieren, wenn ein Bild mir zufällig begegnet. Ein Video drehen, weil es Freude macht, nicht weil es Pflicht ist. Ohne Themen, ohne festen Rahmen. Ohne den Druck, dass daraus etwas Großes werden muss. Ich denke, so werde ich es zukünftig machen. Unter meinem Namen. Dem Namen, den meine Eltern mir geschenkt haben. Ohne Masken. Ohne Spiel. Einfach so, wie ich bin. Vielleicht sind es Geschichten, die ich mir ausdenke. Vielleicht ein Gedicht, das mir auf einem Spaziergang einfällt. Vielleicht gar nichts davon. Aber es wird echt sein. Kein Programm. Kein Kalender. Keine Erwartungen. Nur Worte, Bilder, Sätze, wenn sie entstehen wollen.

Es heißt ja oft, man dürfe nie aufgeben. Doch vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht bedeutet Aufgeben manchmal, endlich weiterzugehen. Rollen loszulassen, die nie die eigenen waren. Projekte oder Ideen, die nur Maske und nicht Wahrheit waren. Aber auch Menschen. Beziehungen enden. Jobs, in die man Jahre gesteckt hat, verlieren vielleicht einfach ihre Bedeutung. Freunde, von denen man dachte, sie wären für immer, verschwinden ohne ein Wort. Früher hat mich das verunsichert. Ich fand es beschissen und habe geglaubt, man könne Dinge festhalten, wenn man nur genug investiert. Oder indem man nur noch stärker eine Rolle spielt. Aber all das stimmt nicht. So verliert man sich am schnellsten selbst. Fakt ist: Wer oder was bleiben will, bleibt. Und was geht, geht. Heute sage ich mir öfter: Niemand muss bleiben. Und das gilt auch für mich. Ich muss und will nicht mehr an Rollen, Menschen, Orten, Projekten, Ideen, Träumen oder Umständen hängen, die mir dann doch nicht guttun. Heute denke ich, aufgeben statt weiterspielen. Und wie gesagt, das ist kein Scheitern. Kein Ende. Sondern der Beginn von etwas Neuem. Von etwas Echtem.