Bis es still wird.

Und nichts mehr übrig ist als Staub.

Wir sind nur Geschichten, die sich selbst erzählen, bis sie verstummen. Zwischen Geburt und Tod ein paar Jahre, in denen wir glauben, irgendetwas zu verstehen. In den Fenstern spiegelt sich das Licht der Bildschirme, Gesichter leuchten kurz auf, verschwinden wieder. Menschen reden, ohne zuzuhören. Lachen, ohne Freude. Und irgendwo, mitten in all dem, sitzt jemand an einem Küchentisch, eine Tasse halbvoll und starrt auf die Wand gegenüber, als würde sie gleich etwas sagen. Vielleicht tut sie das auch. Vielleicht erzählt sie von all den Dingen, die wir längst vergessen haben. Aber wir hören nicht zu. Wir schreiben, lieben, verlieren. Machen Fehler, nennen es Erfahrung. Und jedes Mal, wenn wir glauben, es verstanden zu haben, zieht das Leben einfach weiter. Wortlos. Unbeeindruckt. Auf Fotos halten wir Gesichter fest, die wir irgendwann kaum noch erkennen. Stimmen klingen in der Erinnerung, aber sie bleiben nicht dieselben. Alles verblasst. Langsam. Wie Straßenkreide auf nassem Asphalt. Zurück bleibt nur das Knistern eines Moments, den man fast berühren konnte, bevor er sich auflöste. Vielleicht sind wir wirklich nur Echos. Wandernde Schatten auf einer Leinwand aus Zeit. Und manchmal, spät in der Nacht, wenn die Welt den Atem anhält und selbst die Uhr aufhört zu ticken, kann man sie hören. Leise, gebrochene Melodien, die von uns erzählen. Nicht laut. Nicht klar. Nur gerade genug, um zu wissen, dass wir einmal da waren.

Vielleicht geht es nicht darum, etwas zu verstehen. Vielleicht ist alles nur Bewegung. Das Leben, ein Fluss, der uns mitnimmt, egal, wie sehr wir uns an den Ufern festklammern. Und dann nennen wir es Sinn, wenn wir glauben, eine Richtung zu erkennen. Doch am Ende ist es auch nur Strömung. Die Tage kommen. Sie gehen. Ohne Abschied. Morgens riecht die Luft nach Regen. Mittags nach Beton. Abends nach nichts. Und zwischen all dem verschieben sich die Schatten auf den Wänden. Langsam. Als wollten sie uns zeigen, wie die Zeit vergeht, ohne sich zu entschuldigen. Manchmal denke ich, das Leben besteht aus lauter Wiederholungen. Denselben Fragen, denselben Fehlern, denselben stillen Momenten, in denen niemand hinsieht. Wir suchen nach Bedeutung in Dingen, die keine haben, und übersehen das, was uns still begleitet. Das Tropfen des Wassers im Waschbecken. Das Flackern einer Lampe. Das Atmen eines anderen Menschen. Es sind die kleinsten Geräusche, die uns verraten, dass wir noch hier sind. Und vielleicht ist das alles, was bleibt. Die Gewissheit, dass wir einmal existierten, für einen Moment, zwischen Licht und Dunkel. Danach wird es wieder still. Und irgendwer, irgendwann, erzählt unsere Geschichte weiter, ohne zu wissen, dass es eigentlich seine eigene ist.

Ich glaube, wir haben verlernt, still zu sein. Wir füllen jede Sekunde mit etwas, das uns ablenkt. Geräusche. Gesichter. Worte, die nichts bedeuten. Wir nennen es Verbindung, aber die Wahrheit ist, wir fürchten uns vor der Leere. Vor dem Moment, in dem nichts mehr antwortet. In dem man sich selbst hört. Ohne Filter. Ohne Kulisse. Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns dauernd bewegen, dauernd reden, dauernd etwas festhalten müssen. Weil Stillstand uns immer an das erinnert, was wir verloren haben. Und vielleicht bin ich deshalb immer unterwegs. Getrieben. Ja, ich hab Fehler gemacht. Große und kleine. Manche haben leise geflüstert. Andere haben alles zum Einsturz gebracht. Ich hab geglaubt, man könne Menschen festhalten, wenn man sie nur genug liebt. Aber Liebe ist kein Griff. Kein Werkzeug. Sie ist ein Wind, der weht, wo er will. Ich habe zu spät verstanden, dass wir oft nur das wiederholen, was uns zerstört, weil es vertraut klingt. Und manchmal erkennst du erst, wer du wirklich bist, wenn du in den Trümmern stehst und siehst, dass da nichts mehr zu retten ist. Wir klammern uns an Dinge, die keinen Wert haben. An Namen, an Erinnerungen, an alte Nachrichten, als könnten sie irgendetwas beweisen. Doch alles, was bleibt, sind Fetzen. Bilder. Stimmen. Schatten. Und irgendwann merkst du, dass du dich an nichts mehr erinnerst, ohne dabei etwas zu verlieren. Je älter ich werde, desto mehr glaube ich, dass das Leben kein Kreis und keine Linie ist. Es ist nur ein langsames Verblassen. Eine Bewegung, die so gleichgültig ist, dass man sie kaum spürt. Und irgendwo dazwischen versuchen wir, Bedeutung zu finden, wo keine ist. Vielleicht ist das der wahre Irrtum, zu glauben, das Leben müsse etwas erklären Oder einen Sinn haben. Das tut es nicht. Das hat es nicht. Es passiert einfach. Und wenn es still wird, wenn das Rauschen der Welt endlich verstummt, dann bleibt vielleicht nur ein leiser Gedanke, der durchs Dunkel treibt. Wir waren hier. Und dass es, für einen kurzen Moment, genug war.

Ich fahre jetzt den Rechner runter. Das Licht des Bildschirms verblasst langsam. Das Smartphone liegt daneben. Es bleibt stumm. Keine Nachrichten. Keine Stimmen. Nur das schwache Spiegeln meines Gesichts im schwarzen Glas. Ich ziehe die alten Stiefel an, die an den Nähten aufgeplatzt sind. Das sie nicht mehr lange halten, ist mir klar. Aber manchmal habe ich das Gefühl, sie kennen die Wege besser als ich. Draußen hängt der Tag müde zwischen Regen und Sonne, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er noch leben will. Die Straße glänzt feucht, der Wind riecht nach altem Laub. Johann sagte mal zu mir, man solle alte Zöpfe abschneiden. Ich denke, ich habe mehr davon, als mir lieb ist. Menschen. Erinnerungen. Ideen. All die Dinge, die ich zu lange festgehalten habe, als könnten sie mich retten. Aber nichts rettet dich. Du lernst nur, das Gewicht zu tragen, bis du es nicht mehr spürst. Ich glaube, ein Teil von mir ist heute gestorben. Nicht mit Drama, nicht mit Schmerz. Einfach so. Leise, wie eine Tür, die zufällt, ohne dass man sich noch einmal umdreht. Ja. Der Tag geht zu Ende. Und das, was von mir übrig war, auch. Aber vielleicht ist das in Ordnung. Vielleicht geht es nicht darum, etwas festzuhalten, sondern darum, loszulassen, bevor man selbst zu einer Erinnerung wird. Ich gehe raus. Weiter. Schritt für Schritt, durch das Zwielicht, das über allem liegt. Kein Ziel, kein Plan. Nur Bewegung. Und irgendwo in der Ferne, hinter den Wolken, flackert ein Rest von Licht. So schwach, dass man nicht weiß, ob es bleibt oder schon vergeht.