Vom Sterben der Dinge.

Wir verglühen, ohne es zu merken.

Es tickt… Irgendwo, während ich am Fenster sitze. Draußen fast nur Stille. Der Himmel hängt schwer über allem. Es ist einer dieser Tage, an denen die Welt so ruhig scheint, dass man das eigene Atmen hört. Der Dampf meiner Tasse verliert sich. Langsam. Das Licht ist gedämpft. Der Wind hat aufgehört, selbst die Bäume wirken, als würden sie meinen Gedanken zuhören. Vielleicht gibt es immer wieder diese Momente, in denen ich begreife, dass das Universum gar nicht da draußen ist, sondern hier. Überall. Um uns herum. In uns. In jeder Zelle. In jedem Atemzug. In jedem Gedanken, der kurz aufflackert und wieder vergeht. Und wenn ich diesen Gedanken Raum gebe, verstehe ich mehr und mehr, was es bedeutet, nicht getrennt von all dem, sondern ein Teil von allem zu sein. Und doch verhalten wir Menschen uns oft so, als stünden wir außerhalb. Als könnten wir das Leben beobachten, statt es wirklich zu leben, statt es zu sein. Draußen gehen Menschen vorbei. Sie folgen ihrem Weg, blicken weder nach rechts noch nach links. Einer schaut auf die Uhr, sagt etwas, das ich nicht verstehe, und alle gehen ein wenig schneller. Wir hetzen, als wäre Zeit ein Gegner, und vergessen, dass sie unser Blut ist. Währenddessen bewegt sich das Universum, dessen Teil wir sind und immer waren, in einer Gelassenheit, die wir verlernt haben. Sterne verglühen, Planeten kreisen, Lichtjahre vergehen und alles bleibt in Ordnung. Kein Lärm. Keine Eile. Nur das leise Ticken der Ewigkeit. Und wir? Wir füllen Kalender, als ließe sich Sinn addieren. Wir zählen Minuten, als wären sie etwas wert. Vielleicht liegt genau darin unser Fehler. Draußen läuft alles im eigenen Takt, drinnen überschlagen sich die Gedanken. Erinnerungen, die man nicht mehr ändern kann. Ich frage mich, wann wir schneller wurden als das Leben selbst. Vielleicht in dem Moment, als wir Angst bekamen, es zu verlieren. Doch das Universum kennt keine Angst. Es geschieht. Es lässt geschehen. Und ich sitze hier, immer noch im gleichen stillen Licht, während draußen alles ruht und trotzdem weitergeht. Vielleicht ist das der wahre Abstand zwischen uns und dem Rest des Seins, nicht Raum, nicht Zeit, sondern die Unfähigkeit, einfach still zu sein.

Der Tag ist müde geworden. So wie jemand, der zu lange wach war. Ich sitze immer noch am Fenster. Auf dem Fensterbrett die Tasse. Längst kalt. Irgendwo das Ticken. Die Sekunden tropfen gleichmäßig. Aber irgendwie ohne Bedeutung. Und doch spüre ich dieses Drängen unter der Haut. Kein Schmerz. Eher ein Ziehen. So, als wollte etwas wachsen, das keinen Platz findet. Ein leises Flüstern, das mir sagt, dass ich nichts ändern muss, aber will. Nicht weil das Leben schlecht ist. Sondern weil etwas fehlt. Ein Ton, der nicht mehr klingt. Ein Atemzug, der stockt. Ich schaue durch das Fenster in den wolkenverhangenen Himmel, der langsam die Farbe der Nacht annimmt. Vielleicht ist das Universum wirklich voller Frieden. Aber selbst in diesem Frieden bewegt sich alles. Sterne kollabieren, Pflanzen brechen durch Beton. Selbst der Staub auf dem Fensterbrett verändert sich, während ich ihn ansehe. Alles dehnt sich, schiebt sich nach außen, unmerklich und doch unaufhaltsam. Alles wächst immer von innen nach außen. Leise, aber trotzdem. Es gibt keine andere Art von natürlichem Wachstum. Es geht nur von innen nach außen. Zuerst war da ein Puls. Ein Gedanke. Ein Herzschlag. Immer. Unbeirrbar. Und vielleicht ist das, was wir Unruhe nennen, nur das Echo dieses Wachstums. Ein Zeichen, dass wir leben. Ich schaue auf die Straße, sehe die Laternen angehen, eine nach der anderen. Drinnen flackert das Licht, draußen zieht die Nacht auf. Und irgendwo, zwischen dem, was bleibt und dem, was vergeht, verstehe ich kurz, dass das Universum nicht ruht, sondern atmet. So wie ich. Nur gleichmäßiger.

Ich schaue in das Fensterglas, das mehr spiegelt als zeigt. Draußen ist es längst Nacht geworden. Mein Gesicht überlagert sich mit der Dunkelheit, als wäre ich beides – das, was ich sehe, und das, was mich ansieht. Es gibt einen Moment, in dem ich denke, dass Veränderung vielleicht genau hier beginnt: in diesem stillen Blick, der nichts beschönigt. Man kann nicht ewig derselbe bleiben. Die Dinge verändern sich, ob man will oder nicht. Alles wächst von innen nach außen – Bäume, Wunden, Gedanken, selbst das Licht. Nur wir Menschen versuchen, dagegenzuhalten, aus Angst, uns zu verlieren. Aber vielleicht verliert man sich nicht. Vielleicht findet man sich erst, wenn man aufhört, festzuhalten. Ich weiß, dass ich mich verändern muss. Nicht für andere, nicht, weil etwas fehlt, sondern weil in mir etwas drängt, das nicht länger in mir bleiben will. Etwas, das hinaus will in die Welt, egal, ob sie zuhört oder nicht. Veränderung ist kein Entschluss, sie ist ein Zustand, der schon begonnen hat, bevor man ihn bemerkt. Ich spüre sie jetzt – irgendwo tief unter der Haut, wo alles Leben anfängt. Leise, aber unaufhaltsam. Wie das Universum selbst. Und vielleicht geht es am Ende nur darum: sich wieder dem Rhythmus anzugleichen, dem man längst angehört, ohne es zu wissen.

Und plötzlich, in genau diesem Moment begreife ich eine Sache. Jede Veränderung ist ein stiller Tod. Kein plötzlicher. Kein dramatischer. Sondern einer, der sich über Jahre zieht. Unbemerkt, während man lacht, arbeitet, liebt, leidet. Man stirbt nicht einmal, sondern in kleinen Stücken. Jedes Mal, wenn man etwas loslässt, von dem man glaubte, es würde für immer sein. Eine Erinnerung. Ein Gesicht. Ein früheres Ich. Ein Mensch. Ein Traum. Und wenn man dann zurückblickt, erkennt man, dass man längst ein anderer geworden ist, ohne es zu bemerken. Vielleicht ist das das eigentliche Gewicht des Lebens. Nichts bleibt. Alles vergeht. Und wir machen trotzdem weiter. Immer weiter. Als wäre es ein Trost, dass selbst der Schmerz ein Teil von uns ist, der lebt.