Christi-Himmelfahrt

Ein grandioses Wochenende kündigt sich an. Jedenfalls für die, die so clever waren und sich die Lücke, sprich den Brückentag, im Kalender zunutze gemacht haben. Christi Himmelfahrt steht vor der Tür – ja, dieser Donnerstag, der oft genug nur als nutzloser Platzhalter im Kalender rumoxidiert. Ein Feiertag, an dem die liebe Verwandtschaft, welch Glück, mal nicht nervig auf der Matte steht. Vielleicht, weil die selbsternannten Patriarchen, die großen „Männer des Hauses“, typischerweise alle ihre Hütten verlassen haben und nicht, wie sonst, im heimischen Sessel kleben. Die ziehen nämlich los, meist in Rudeln, um sich kollektiv ins Nirwana zu trinken, bis die Welt sich rückwärts dreht. Ja, an diesem Tag wimmelt es draußen nur so von Männern, die ihre Drahtesel aus dem Keller gezerrt und die Ketten geschmiert haben. Wie eine entfesselte Horde preschen sie dann durch die Natur, nur um an den obskursten Ecken haltzumachen und sich ordentlich einen hinter die Binde zu kippen. Andere hingegen, die cleveren Köpfe, greifen zum Bollerwagen und marschieren zu Fuß los. Natürlich sind die Wagen randvoll mit Spirituosen und Mettwurst. Und das mit dem Handwagen ist echt schlaue Nummer, denn wenn der letzte Funke Verstand verblasst ist, greifen sie einfach zum Telefon, rufen zu Hause an und lallen leise: „Kannst du mich abholen?“. Um ein verlassenes Fahrrad muss sich dann keiner mehr Gedanken machen. Was für ein genial ausgefuchster Plan.

Wer nun meint, ich würde den selbsternannten Göttern des Feiertags-missbrauchs übelnehmen, dass sie lautstark durch die Gegend grölen, die Natur mit ihrem Urin segnen, sich bescheuerte Witze an den Kopf werfen und gelegentlich an strategisch, meist unvorteilhaften Orten Erbrochenes hinterlassen, den muss ich an dieser Stelle arg enttäuschen. Ich gönne jedem diese Form der Freizeitgestaltung. Wenn Grölen, Saufen, Wildpinkeln und Kotzen die Schlüssel zu ihrem persönlichen Paradies sind, bitte, kein Problem. Ich bereite mich nur darauf vor, am nächsten Tag akrobatisch um diese fragwürdigen Relikte herumzumanövrieren oder zu verhindern, dass mein Hund sie für Delikatessen hält. Das ist wahrlich keine Übertreibung, denn wie jedes Jahr am Tag nach Christi Himmelfahrt entdecke ich während meiner Hunderunden die üblen Schlachtfelder der Vortagseskapaden, an denen mancher offenbar die Diamanten des vergangenen Tages nochmal gründlich überdacht hat. Und während ich dann am Freitag achtsam und mit klarem Kopf meinen Hund ausführe, werden andere ihre geschundene Leber in den heimischen Sesseln kurieren, den Kopf festhaltend, als würden Bauarbeiter gerade mit Vorschlaghammer und Rüttelplatte an einer Gehirnsanierung arbeiten. Über die damit einhergehende Übelkeit breite ich einfach mal den Mantel des Schweigens aus, denn gegen solche Missstände gibt es ja bewährte Heilmittel: ein fettiger Döner, eine Tüte Chips oder eine monströs belegte Pizza tun da schon ihre Wunder.

Hand aufs Herz, ich will mal nicht um den heißen Brei reden: Auch ich war mal ein König des Komasaufens. Ehrlich gesagt, liegt das allerdings schon eine geschlagenes Jahrzehnt zurück, und ich würde glatt lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte nicht genau jene Kapriolen vollführt, die ich eben so detailliert geschildert habe. Ja, Grölen, Kotzen, Wildpinkeln, beschissene Witze reißen und andere verbal malträtieren, das alles war Teil meiner nicht so glorreichen Vergangenheit – eine Sammlung von Erinnerungen und Erinnerungslücken. Auch ich habe mich an Christi Himmelfahrt mit anderen getroffen, um mal ordentlich die Augen auf links zu drehen und die grauen Zellen heftig zu defragmentieren. Aber heute, mehr als ein Jahrzehnt später, habe ich persönlich begriffen: Das bringt mir rein gar nichts. Ganz abgesehen davon, dass mich der Alkohol regelmäßig in einen Vollasozialen verwandelt hat, kam da noch diese tiefe Traurigkeit hinzu, die sich nach einer ordentlichen Ladung Hochprozentigem in mir breitmachte. Nein, jeder kann so viel saufen, wie er will – nur ich halt nicht mehr. Gar nicht mehr. Nie mehr.

Statt mich ins alkoholgetränkte Christi-Himmelfahrtsgetümmel zu stürzen, plane ich einen Feiertag ganz anderer Couleur. Ausschlafen gibt es natürlich nicht. Mein Wecker terrorisiert mich auch an diesem heiligen Tag um 4:30 Uhr, um mich aus den Federn zu werfen. Dann geht es auf eine gelassene, entspannte Hunderunde, gefolgt von einer wohltuenden Tasse Kaffee. Gefrühstückt wird nicht.  Anschließend steht ein Besuch beim alten Herrn auf dem Programm, gefolgt von einem kulinarischen Abstecher ins Griechische – Gaumenfreuden und Zeit mit der Familie. Zuhause, im Büro wartet dann der Rechner, an dem ich an weiteren Texten feile und den Roman weiterschreibe, natürlich alles in gemächlichem Tempo. Und am Freitag, diesem vorhin erwähnten Brückentag, zieht es mich nach Rastede. Dort hat das MPS, das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum seine Zelte aufschlagen – eine Veranstaltung, die es sich auf die Fahne geschrieben hat, eine Welt zu kreieren, die zwar dem Mittelalter nachempfunden ist, jedoch mit einer Prise Fantasie gewürzt. Doch das ist eine Geschichte für ein anders mal.

Nichtsdestotrotz, wünsche ich allen Christi-Himmelfahrt-Sauf-Jüngern, einen glorreichen Donnerstag, maßgeschneidert nach ihren feucht-fröhlichen Vorstellungen. Doch bitte, seid so nett und stellt sicher, dass euer Wildpinkeln auch wirklich „wild“ bleibt und nicht auf den gepflegten Vorgärten von Frau Koschmüder oder Herrn Pacholke endet. Glaubt mir, die beiden sind von solchen Gelagen alles andere als angetan. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Kotzen – eine Angelegenheit, die sicher schwerer in den Griff zu bekommen ist. Oder etwa doch nicht? Ich hätte da tatsächlich einen Tipp: Etwas weniger saufen könnte Wunder wirken. In diesem Sinne, genießt den Feiertag, ihr Spritnacken, und lasst es euch gutgehen, solange der Vorrat reicht! 

Und wenn wir nicht am Leben sind, dann stehen wir längst mit einem Bein im Grab.