Das Leben als Autor.

Das Leben als Autor mag von außen betrachtet durchaus seinen Reiz haben, aber in Wahrheit ist es genauso aufregend wie das Beobachten von Farbe beim Trocknen. Meine Tage verbringe ich überwiegend an einem Ort – festgeklebt an meinem Schreibtisch, abgeschirmt von der Außenwelt. Mein Tag beginnt frühmorgens um 4:30 Uhr, wenn die Stadt noch schläft und selbst die Sonne es vorzieht, sich noch einmal umzudrehen. Ich stehe auf, mache mich zumindest so weit gesellschaftsfähig, dass ich nicht für einen Landstreicher gehalten werde, und gehe dann hinaus in die noch verschlafene Welt – um mit dem Hund Gassi zu gehen, damit er schnüffeln, pinkeln und natürlich kacken kann. Unser täglicher Spaziergang umfasst stolze sechs Kilometer. Komme was wolle – Regen, Wind oder Schnee. Dabei trage ich manchmal eine Jogginghose, was völlig unbedenklich ist, denn die einzigen Zeugen dieses modischen Fauxpas sind andere Frühaufsteher in ähnlich glamouröser Montur. Kurz vor sechs gibt es dann den ersten Höhepunkt meines Morgens: den ersten Kaffee des Tages. Frühstück und Mittagessen verschmelzen in meiner Welt zu einer Mahlzeit, die selten vor Mittag stattfindet – es sei denn, es ist Sonntag und jemand hat mich zum Frühstück eingeladen. Und selbst das ist eine Seltenheit, denn ich habe keine Freunde.

Die Zeitung habe ich schon vor Monaten abbestellt, denn die Nachrichten vom Vortag sind mir ohnehin meist bekannt – zumindest jene, die irgendwie relevant erscheinen. Ob Hans Hansen mit seinem Rammler Rudi die 47. Bundeshasenschau gewonnen hat, kümmert mich ebenso wenig wie das regionale Vereinsleben. Wer wurde wo in welchen Vorstand gewählt? Wer hat den Kartoffelsalatkochwettbewerb der katholischen Landfrauenbewegung gewonnen? Alles Fragen, die mir die Schuhe nicht ausziehen. Generell muss ich zugeben, dass mich das Lokale nur mäßig fesselt, vor allem weil ich die meisten Personen, die in der Zeitung abgebildet sind, nicht einmal dem Namen nach kenne. Stattdessen widme ich mich, kein Witz, lieber den Büchern in meinem Regal oder lasse mich ab und zu in die Abgründe der sozialen Medien ziehen. Kurze Clips, die mir nichts bringen, außer vielleicht meinen Dopaminspiegel durcheinander zu wirbeln. Aber was soll’s, man lebt schließlich nur einmal.

Nachdem ich mich mit Kaffee und einer Prise Bildung – sei es durch ein Buch oder durch einige erfrischend sinnlose Internetclips – amüsiert habe, wird es ernst: Sport. Der Mist steht auf dem Programm. Jedes Mal eine ätzende Herausforderung und pure Überwindung. Nicht, dass ich den Drang verspüre, mich in einen griechischen Gott zu verwandeln – nein, mir geht es mehr um mein seelisches Gleichgewicht. Eineinhalb Stunden purer Masochismus, ich schwitze wie ein Marathonläufer und glühe wie ein Hochleistungsofen. Nach dieser Folter folgt eine schnelle Dusche, ein Proteinshake – geschmacklich irgendwo zwischen Pappe und Hoffnung – und dann ab ins Büro. Echt jetzt, mein Tagesablauf ist so unspektakulär wie das Beilagenprogramm im Fernsehen, und trotzdem glaube ich, es ist ein Ritual, das viele mit mir teilen. Nun gut, es folgt die Zeit am Schreibtisch. Ich lese mein Manuskript, als würde ich verborgene Botschaften von Außerirdischen entschlüsseln, schreibe Korrekturen, als hinge mein Leben davon ab, verfasse neue Passagen und erfinde Charaktere, die skurriler sind als meine realen Bekannten. Ich stochere in Satzanfängen herum wie ein blutiger Anfänger, zerreiße frustriert Papier, koche noch mehr Kaffee. Manchmal kommen mir die Tränen – aus Verzweiflung oder vor Lachen, wer weiß das schon – und am Ende des Tages finde ich alles, was ich „geleistet“ habe, doch irgendwie ziemlich geil. Oder zumindest erträglich.

„Ich fluchte. 
Ich fluchte dermaßen, dass selbst die asozialen Tauben auf dem Nachbardach für einen Moment innehielten, bevor sie ihre beschissenen Geschäfte weiterführten. Ich fluchte so heftig, dass die Kinder der Nachbarn ihren Eltern die Ohren zu hielten. Da stand ich, vor meinem dunkelblauen VW Passat, Baujahr 1996, ein Relikt aus einer Zeit, als man noch glaubte, deutsche Autos seien unkaputtbar. Pustekuchen. Das Ding wollte einfach nicht anspringen. Kein Lebenszeichen. Tot. Wie meine Begeisterung für die Menschheit nach zehn Minuten im Berufsverkehr. Ich malträtierte das Lenkrad mit einer Serie von Schlägen und trat gegen die Vorderreifen mit einer Professionalität, die in ihrer Präzision ihresgleichen suchte. Ich hätte einen Preis gewinnen sollen – für die beschissenste Performance eines verzweifelten Mittdreißigers in Anzug und Krawatte an einem verfickten Montagmorgen.“

Torsten Luttmann – das neue Buch

Als ich im Januar alles auf den Müll schmiss, fanden sämtliche Schriftstücke meiner Vergangenheit ihren Weg in die blaue Tonne. Was aus diesem alten Papier wird? Vielleicht Klopapier, vielleicht Konfetti für den nächsten Karnevalsumzug oder Dämmmaterial für eine polnische Sargfabrik – ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Auch die digitalen Kopien verschwanden im digitalen Nirwana. Ein Klick und weg waren sie. Danach setzte ich mich wieder an meinen Rechner und begann von Neuem zu schreiben. Doch das, was nun aus meinem Kopf floss, war anders als alles zuvor Geschriebene. Es entstand eine Geschichte, gespickt mit Saufgelagen, Abmahnungen und Kündigungen, eine Geschichte, die ihre Höhepunkte in einer versifften Werkstatt oder einer Kneipe erlebte, die weniger für ihre Getränkeauswahl als für ihre illustre Gästeschar bekannt war. Ein Ort, der die Schatten der Gesellschaft beherbergte: Da war Doornkaat-Dolli, der seine verlorenen Träume in klaren Schnaps ertränkte; Eier-Andy, der philosophierende Geflügelfanatiker; und Muschi-Marie, deren Name eine Geschichte erzählte, die alles andere als jugendfrei war – und definitiv nichts mit einer Vorliebe für Katzen zu tun hatte. Diese Kneipe war ein Treffpunkt der Verlorenen und Vergessenen, ein Ort, an dem man Geschichten erlebte, die zu verrückt waren, um sie weiterzuerzählen.

Natürlich stehen nicht wirklich Doornkaat-Dolli, Eier-Andy und Muschi-Marie im Zentrum der Geschichte. Nein, der eigentliche Held heißt Werner Petersen, ein Mittdreißiger, der als typischer Bürohengst sein Dasein fristet. Gefangen zwischen dem kafkaesken Wahnsinn seines Büroalltags und einem Auto, das öfter streikt als fährt, kämpft Werner im urbanen Dschungel täglich ums Überleben. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs in einer Welt, in der ein defekter Wagen sein geringstes Problem darstellt. Die Bühne für seine alltäglichen Kämpfe ist die Völkerdings Metall Manufaktur GmbH – ein Unternehmen, das seine ganz eigenen, oft unergründlichen Regeln hat. Hier ringt Werner nicht nur mit Kopierern und E-Mail-Programmen, sondern auch mit Frau Steinberg, der eisernen Lady des Mittelstands, die ihre Prokura wie eine Streitaxt schwingt. Doch sobald der Feierabend naht, flieht Werner aus dem Bürodschungel und findet Zuflucht in den heiligen Hallen von Norberts Werkstatt. Ein Paradies aus Bierdunst und Benzingestank, wo Freundschaften noch geschmiedet werden wie in vergangenen Tagen – rau, ehrlich und urkomisch. So rau, ehrlich und so urkomisch, dass man vor Lachen das Weinen vergisst. Als jedoch die Schrauben des Lebens anfangen, bedenklich locker zu sitzen und alles zu zerbrechen droht, nimmt Werner sein Schicksal selbst in die Hand. Er packt seine sieben Sachen und seinen Fotoapparat, nimmt all seinen Mut zusammen und springt kopfüber in die Selbstständigkeit als Fotograf. Ein gewagter Schritt, der sein Leben grundlegend verändert. Diese Geschichte, dieser Roman, ist mehr als nur eine Ansammlung von Büroanekdoten und Saufeskapaden; es ist ein Loblied auf die zweiten Chancen und die unerwartete Pracht des Lebens, die oft nur eine Entscheidung entfernt ist.

Gegenwärtig sieht es so aus, dass der Roman am Ende auf stolze 250 Normseiten kommen wird, durchzogen von einer Palette an Emotionen: urkomisch, nachdenklich und zuweilen auch traurig. Es ist eine Erzählung über das Aufgeben, das Scheitern und Neuanfänge, eine Ode an Freundschaft und Hingabe und ein sarkastischer Kommentar zur Idee, dass die Hochzeit der schönste Tag im Leben eines Paares sei – ein Märchen, fabriziert von der Hochzeitsindustrie, um ihre Zierdekorationen, Klamotten und Dienstleistungen teuer zu verkaufen. Und das Schreiben selbst? Oh, das ist alles andere als das glamouröse Bild, das man sich vielleicht vorstellt. Es ist ein mühsamer Prozess, bei dem man mehr Kaffee trinkt als gesund ist, aus dem Fenster starrt, nach den richtigen Worten sucht, mit schwierigen Enden kämpft und sich regelmäßig über das Unvermögen ärgert, die Gedanken in fließende Worte zu fassen. Und während man so dasitzt, frustriert und zermürbt, kommt auch noch der Hund angetrottet, stupst einem ans Bein, weil ihm langweilig ist oder weil er kacken muss. Eine echte Herausforderung, dieses Schriftstellerleben – manchmal witzig, manchmal traurig, oft glücklich, gelegentlich niveaulos und immer wieder tiefgründig.

Und wenn wir nicht am Leben sind, dann stehen wir längst mit einem Bein im Grab.