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Dreckhosen adieu, hallo Hemdkragen.

Sonntage waren früher, sagen wir mal, eher ein verpflichtendes Familienritual als spontane Freizeitgestaltung. Nachdem wir, also ich, meine beiden Brüder und unsere Eltern, uns durch das Hochamt gequält hatten – eine Veranstaltung, die weniger von himmlischer Eingebung als von der steifen Liturgie des Pastors bestimmt wurde –, war der Rest des Tages glücklicherweise einem besseren Schicksal geweiht. Mittags aßen wir königlich. Zuerst gab es immer eine Suppe, die robust genug war, um als Fundamentbau dienen zu können. Anschließend gab es immer Salzkartoffeln und einen Schweinebraten, bei dessen Anblick jeder Vegetarier reumütig zum Fleischesser konvertiert wäre. Zum Nachtisch gab es Pudding – manchmal Schokolade, manchmal Vanille. Und an besonderen Sonntagen wurde die sogenannte Herrencreme serviert. Diese war immer mit einem Schuss Rum versehen. Die Dosierung schwankte meist zwischen ‚Mama hat’s fast vergessen‘ und ‚Mama will uns ins Koma schießen‘. Wir Kinder bekamen natürlich nur eine kleine Kostprobe, da der Alkohol ja nicht für zarte Seelen gedacht war. Oftmals stand an den Sonntagen der Besuch bei Oma auf dem Programm. Sie war eine Frau, die Liebe als Grundnahrungsmittel ansah und Tee und Kuchen als ihre Form von Zärtlichkeit servierte. Kaffee gab es vielleicht zu Ostern, aber das ist eher eine verschwommene Erinnerung. Sicher weiß ich es nicht. Tee, ja, den gab es immer. Wie es sich für eine norddeutsche Dame gehörte. Oma war in dieser Hinsicht eine unerschütterliche Institution, genau wie ihre Kuchen und Brote, die mehr nach Heimat schmeckten als alles andere.

Was ich als Dorfkind, ein echtes Landei, immer noch lebhaft in Erinnerung habe, sind die Sonntagsklamotten, die unter dem Prädikat „für Best“ liefen. Da gab es Hosen, so makellos, dass sie auch als Teil einer Paradeuniform der Jugend hätten bezeichnet werden können. Wir hatten Hemden, die so fleckenfrei waren, dass sie im Licht der Kirchenfenster fast heilig schimmerten. In meinem Schrank lagen Pullover, die einen Hauch von Luxus verströmten, und Schuhe, unter deren Sohlen sich weder Kuhscheiße noch heimischer Mutterboden je verirrt hatte. Diese Garderobe war für die großen Auftritte reserviert, sprich für die Sonntage. Neue Klamotten gab es meist nur zu den besonderen Festen, kurz vor Weihnachten oder Ostern, und sie waren so besonders, dass sie ihre Premiere stets an einem dieser hohen Feiertage feierten.

Was die Alltagskleidung betrifft, so herrschte eine ganz andere Situation. Ich erinnere mich gut daran, wie unsere Nachbarin, Mutter von vier wilden Jungs, die alle älter waren als wir, gelegentlich einen Karton mit aussortierten Sachen vorbeibrachte. Diese Klamotten waren bereits echte Kämpfer: Hosen, Pullover und Jacken, denen es nichts ausmachte, in Stacheldrahtzäunen hängen zu bleiben oder im Geäst zerfetzt zu werden. Manchmal, wenn wir Kinder wie die Besessenen um den Kuhstall des Nachbarn rasten, kam es vor, dass wir nicht rechtzeitig bremsen konnten, wenn die Kühe quer über die Straße auf die Weide getrieben wurden. Dann konnten auch mal unsere Hosen ‚zerschossen‘ werden. Alltagskleidung machte schon damals auf dem Land durchaus Sinn. Ehrlich gesagt, ich kann mich an keinen Nachmittag erinnern, an dem ich nicht mit zerrissener Hose oder zumindest grünen Flecken auf den Knien nach Hause kam. Unser Alltag verlangte eben nach Stoff, der einiges aushalten konnte – genau wie wir.

Verrückt. Bald ist es soweit, und ich gehe meinem 43. Geburtstag entgegen. Von Feiern zu sprechen, wäre allerdings übertrieben, denn einladen werde ich sicherlich niemanden. Doch während ich so darüber sinniere, mein 43. Lebensjahr zu erreichen, wird mir bewusst, dass all die Erlebnisse und Geschichten, die ich gerade zum Besten gegeben habe, sich tatsächlich schon vor über dreißig Jahren zugetragen haben. Mindestens 35 Jahre, um genau zu sein. Eine verdammt lange Zeit. Meine Großmutter und auch meine Mutter sind inzwischen leider verstorben, und die sonntäglichen Familienausflüge mit Tee und Kuchen gehören längst der Vergangenheit an. Doch eines hat sich gehalten: meine persönliche Kleiderordnung, unterteilt in „Alltagstauglich“ und „Prädikat Best“. Wobei ich zugeben muss, dass sich mein Leben in den letzten Jahren vornehmlich im Alltagsmodus abgespielt hat. Krawatten betrachte ich immer als Relikte einer spießigen Gesellschaft. Sich wirklich herauszuputzen, schien mir oft nur eine Angelegenheit für jene zu sein, die sich für etwas Besseres halten und der Welt unbedingt zeigen müssen, wie umwerfend sie sind. So zog ich es vor, auch an den schönsten Tagen in Gummistiefeln durch die Welt zu stiefeln, in meinen grünen Hosen, die eigentlich viel zu groß waren. Manch einer hätte mich bei dem Anblick für einen schlechten Landwirt oder einen inkompetenten Jäger halten können. Wäre ich richtig zynisch, würde ich sagen, ich sähe aus, als wäre ich gerade mit einer Brotkruste aus dem Wald gelockt worden.

Nach meinem Nervenzusammenbruch letztes Jahr hat sich mein Leben radikal verändert. Nicht nur, dass ich fast 25 Kilogramm Frustfett oder, wie man es auch nennen mag, Trauerspeck verloren habe, ich habe auch verstaubte Einstellungen und Überzeugungen über Bord geworfen. Die viel zu großen grünen Hosen? Weg. Stattdessen habe ich mir neue Hosen zugelegt, die, ganz wie in alten Zeiten, das Prädikat „für Best“ verdienen. Selbst weiße Hemden und Krawatten haben ihren Weg zurück in meinen Schrank gefunden. Sonntags und an manchen Wochentagen mache ich mich jetzt schick. Wenn ich mit meinem Hund Talko über Feld-, Wald- und Bergwege streife, dann sind robuste Alltagsklamotten angesagt –versteht sich irgendwie von selbst. Aber das ist nur eine Randnotiz. Tatsächlich habe ich ein neues Interesse an Kleidung entwickelt, das weit über das hinausgeht, was ich noch im letzten Jahr für möglich gehalten hätte. Und das hat nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, dass ich oberflächlich geworden sein könnte. Ganz im Gegenteil. Ich habe erkannt, dass es einen spürbaren Unterschied macht, wie ich mich kleide. Es geht nicht um die Darstellung nach außen, sondern vielmehr um die Pflege meines Inneren. Wenn ich auf mein Äußeres achte, pflege ich gleichzeitig mein Innenleben. Es ist eine Art der Selbstfürsorge, die mir zeigt, dass ich Wert darauf lege, wie ich mich präsentiere und fühle. Dieses neue Bewusstsein für Kleidung ist ein Spiegelbild meiner inneren Veränderungen und ein fester Bestandteil meines neuen Ichs.

Dass meine modische Veränderung nicht jedem zusagt, ist für mich vollkommen in Ordnung. Schließlich ist Geschmack so eine Sache, über die man – wie es das alte Sprichwort schon weise ausspricht – nicht streiten soll. Keine Sorge, ich verspüre nicht den Drang, mich in endlose Debatten über Tweed und Seide zu stürzen. Doch allmählich finde ich heraus, was mir steht und was mich eher wie einen begossenen Pudel aussehen lässt. Und dabei ist es mir ziemlich egal, was der Rest der Welt über meinen neugefundenen Stil denken könnte. Niemand außer mir lebt mein Leben, und wie ich es gestalte, welche Farben und Schnitte ich wähle, das bleibt meine ganz persönliche Angelegenheit. Ich denke an früher. Früher, oh ja, da waren die Sonntage bei Oma ganz große Momente. Wir putzten uns heraus, als ginge es zum königlichen Empfang. Diese Tradition, sich für besondere Anlässe in Schale zu werfen, die hat, ehrlich gesagt, ihren Charme nie verloren. Es hat mir tatsächlich immer Spaß gemacht, in die feinen Klamotten zu schlüpfen, wohl wissend, dass ein Stück Kuchen und ein warmes Lächeln meiner lieben Oma als Belohnung warteten. Wundert euch daher nicht, wenn ihr hier künftig von meiner sorgfältig kuratierten Garderobe lest – ich habe diesen kleinen Luxus einfach liebgewonnen, genau wie ich damals Omas Apfelkuchen und frisch gebackenes Brot genossen habe. Ach, das waren Zeiten, in denen selbst die Tapete im Wohnzimmer Geschichten erzählen konnte. Und während wir genüsslich Kuchen aßen und Oma uns mit Anekdoten aus ihrer Jugend unterhielt, lief im Hintergrund Roy Black.

Und wenn wir nicht am Leben sind, dann stehen wir längst mit einem Bein im Grab.